Sonntag, 17. März 2024

Ethikrat: Moralisches Heldentum ist nicht die Lösung. Hadern Sie weiter mit sich – aber verzweifeln Sie nicht daran

 4 verschiedene Artikel greifen  unterschiedliche Dinge auf. Aber überall im Focus ist die übergeordnete Verantwortung der Politik, ganz im Sinne des Karlsruher Urteils 2021.

SPIEGEL Klimabericht  hier Samstag, 16. März 2024  Susanne Götze

Der Ethikrat hat diese Woche seine Stellungnahme zur Klimagerechtigkeit vorgelegt. Aus dem Text und den Reaktionen darauf lassen sich interessante Schlüsse ziehen. Spoiler: Wer andere wegen Klimasünden denunziert, bedient rechtskonservative Narrative.

Im vergangenen Sommer haben aufmerksame Reisende den wohl prominentesten Klimawissenschaftler Hans-Joachim Schellnhuber (S+) – mittlerweile übrigens Leiter des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse in Laxenburg bei Wien – bei einem Inlandsflug von Berlin nach Münster »erwischt«. Die Häme war besonders bei Springer- und rechtskonservativen Medien groß, immerhin mahnt der Wissenschaftler schon seit mehr als 40 Jahren vor den Folgen der Klimakrise und macht sich für ein Inlandsflugverbot stark. Ha! Endlich hatet man ihn als Heuchler entlarvt, der Wasser predigt und doch Wein trinkt. Was für eine Erleichterung. Endlich konnte man wieder in Ruhe fliegen, der sogenannte »Klimapapst« tut es auch.

Das ist natürlich Unsinn. Man kann sehr wohl ein Inlandsflugverbot fordern und trotzdem fliegen. Genauso wie man ein Tierwohllabel oder eine Zuckersteuer fordern kann und trotzdem ein Steak essen kann oder gern naschen. Die Mär, dass Klimaforscher und Aktivisten wie Mönche leben müssen, nur weil sie eine ehrgeizige Klimapolitik fordern, ist ein populistisches Narrativ aus rechtskonservativen Kreisen, seit es die Klimabewegung gibt.

Das sehen auch die Mitglieder des Deutschen Ethikrates so. Das 24-köpfige Gremium, das die Bundesregierung und den Bundestag berät und gesellschaftliche Diskussionen fördern soll, hat sich über solche moralischen Fragen der Klimagerechtigkeit Gedanken gemacht. Herausgekommen ist diese Woche eine Stellungnahme von etwas über hundert Seiten. Sie lotet aus, wer unter den Folgen der Klimakrise leidet, wer finanziell belastet wird aber auch, wer welche Verantwortung trägt.

Geht es um Moral bei individuellen Alltagsentscheidungen à la Schellnhuber ist der Punkt 5 in der Zusammenfassung ziemlich interessant. Dort erklären die Autorinnen und Autoren, dass »die gerechte Verteilung der Verantwortung für diese und andere Klimaschutzmaßnahmen (...) vornehmlich eine staatliche Aufgabe« sei. Auch Unternehmen und private kollektive Akteure zählten dazu. Der »bislang weitverbreitete Fokus auf die individuelle Verantwortung von Einzelpersonen wird der Problemlage nicht gerecht«, heißt es weiter. Denn der Einzelne sei eben durch die Rahmenbedingungen geprägt, die in einer Gesellschaft herrschen (oder mit Marx: Der Mensch ist Produkt seiner Umstände).

Beispiel Inlandsflüge: Gäbe es billige, schnelle und pünktliche (!) Zugverbindungen im ganzen Land (und am besten ganz Europa) und wären Flüge hingegen teuer oder sogar verboten, dann müsste der Einzelne sich nicht ständig im moralischen Dilemma leben. Die gibt es aber nicht!

Abschiebung von Verantwortung: Wähle doch selbst!

Deshalb, so konstatiert die Stellungnahme, verlange »emissionsärmeres Handeln« immer noch »moralisches Heldentum«. Das teure Biofleisch oder das Billigschnitzel, die billige Industriedämmung für dein Haus oder nachhaltige Rohstoffe, Diesel oder Tesla: Wähle doch selbst!

Die Ethik-Experten schreiben deshalb zu Recht: »Eine moralische Kritik an Entscheidungen im Bereich der privaten Lebensführung und des Konsums ist kein Ersatz für notwendige politische Maßnahmen«, heißt es. Kurz: Bitte befreit die Bürgerinnen und Bürger von diesem »moralisches Heldentum«!

Die Idee, Bürgerinnen und Bürger beim Klimaschutz gegeneinander auszuspielen, kommt übrigens vom Ölkonzern BP. Der hatte die geniale Idee des heute jedermann geläufigen CO2-Fußabdrucks. Im Jahr 2004 brachte das Unternehmen erstmals einen CO2-Rechner heraus, mit dem Menschen berechnen können, für wie viel CO2-Emissionen sie verantwortlich sind. Das ist natürlich schlau. Viel interessanter wäre es doch, einen CO2 -Rechner für BP zu erstellen. Doch die Idee setzte sich durch. Bis heute fühlt sich Bürger XY schuldiger als der CEO von BP.

Das Machtwort des Ethikrates ist deshalb ein essenzielles. Die Formulierung »moralisches Heldentum« kommt auch gleich dreimal in dem Bericht vor. Leider gehen diese klugen Ausführungen in etlichem Geplänkel auf den Hundert Seiten unter. An vielen Stellen liest sich das Papier wie ein intellektuell getarntes Herumwinden, vieles bleibt extrem vage und verschwurbelt. Das deutet zumindest auf hitzige Debatten im Vorfeld der Veröffentlichung hin.

Ab Seite 110 gibt es das sogenannte »Sondervotum«, das drei Mitglieder des Rates verfasst haben, die die Stellungnahme nicht unterschreiben wollten. Sie bemängeln, es sei zu wenig über Innovationen nachgedacht worden (kurz erwähnt wird auch die Kernkraft). Was das jedoch moralisch ändern soll, bleibt vage. Ein Grund könnte auch die Kritik des Rates an der unterirdischen CO2-Speicherung (CCS) sein. Die nun bald in Deutschland erlaubte Technik sei »kritisch zu prüfen«, auch mit Blick auf kommende Generationen, heißt es in der eigentlichen Stellungnahme. Das scheint nicht allen gefallen zu haben.

Das Sondervotum hebt zudem auf den »überschießenden und tendenziell illiberalen Moralismus« ab der angeblich einzelnen Bürgern »eine moralische Mitwirkungspflicht« auferlege. Das ist allerdings angesichts der oben erwähnten klaren Kritik am Staat unverständlich. Richtig liegen die Abweichler mit ihrer Kritik an einer fehlenden über den »akademischen Jargon hinausgehende verständliche Erläuterung«.

Angeblicher »Aktivistenrat«

Interessant ist zudem die reflexartige Reaktion einiger Medienvertreter. Die »Welt« titelte doch tatsächlich »Wie der Ethikrat zum Aktivistenrat wurde«. Es wird allerdings nicht aufgelöst, wer von den Mitgliedern des Rates nun ein Aktivist sein soll. Stattdessen zitiert die Welt-Autorin ellenlange, teils ausgesprochen dröge Passagen aus der Stellungnahme, statt die Botschaften in eine verständliche Sprache zu übersetzen.

Die Zeitung war es übrigens auch, die im Sommer vergangenen Jahres zum Thema Schellnhuber den großen »Klima-Experten« Henrik M. Broder einlud. Der schaffte es – wie es auch von ihm erwartet wurde – das Ganze dann gleich mit einer Portion Chauvinismus zu würzen: Das Verhalten des Klimaforschers sei so, »als würde man einen Rabbi oder einen Priester abends im Puff erwischen«.

Auf diesem Niveau kann natürlich keine Diskussion über Klimaschutz stattfinden. Da hilft auch eine ausgewogene Stellungnahme des Ethikrates wenig weiter. Wer in diesem Land Stimmung gegen Klimaschutz machen will, wird es auch weiterhin tun. Problematisch wird es nur dann, wenn zu viele Bürgerinnen und Bürger dieser Polemik und falschen Freiheitsversprechen folgen – vielleicht weil sie sich benachteiligt oder nicht gehört fühlen. Schon deshalb sollten zumindest die kommenden Regierungen auf die Ratschläge der Autorinnen und Autoren hören.

Herr Schellnhuber sagte übrigens nach seinem »Flugskandal« im SPIEGEL: »Manchmal muss man das schlechte Gewissen einfach aushalten. Man kann im Alltag nicht stets das hundertprozentig Richtige tun, die richtigen Lebensmittel kaufen, die richtigen elektronischen Geräte benutzen, und so weiter. Man muss mit einer gewissen Zerrissenheit leben und sich von ihr anspornen lassen, weiter nach guten Lösungen zu suchen.«

Deshalb: Hadern Sie weiter mit sich – aber verzweifeln Sie nicht daran. Ohne politische Entscheidungen kann weder Deutschland noch Europa klimafreundlich werden.


Bleiben Sie zuversichtlich

Ihre Susanne Götze

Redakteurin Wissenschaft



Energiezukunft  hier  15.3.24

Ethikrat zu Klimagerechtigkeit:
Das gute Leben in der Klimakrise
 Der Deutsche Ethikrat hat Empfehlungen zur Klimagerechtigkeit vorgelegt (Illustration: Hannah Robold – Berliner Ideenlabor).

Wer trägt die Verantwortung, wer die Kosten für die Klimawende? Der Ethikrat sieht Politik, Wirtschaft und Individuen gleichermaßen in der Verantwortung. Ermöglicht werden müsse die Grundlage für ein gutes Leben.

15.03.2024 – Diese Woche hat der Ethikrat Vorschläge für eine gerechte Lastenverteilung in der Klimakrise vorgestellt. Mit 13 Empfehlungen umreißt das Gremium, wie die Klimawende fair ausgestaltet werden könnte.

Die Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen ist eine gesellschaftliche Mammutaufgabe“, sagt Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. „Wie können wir dabei die Lasten gerecht verteilen? Wer trägt die Verantwortung? Und was können wir tun, damit uns allen dabei nicht die Puste ausgeht?“

Alle seien gefragt – Parteien, Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft –, um neue Perspektiven für ein gutes Leben in einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft ohne weiteres Wachstum von Konsum und Ressourcenverbrauch zu entwerfen.

Wer trägt die Verantwortung, wer trägt die Last

Die Klimagerechtigkeit wird auf drei Dimensionen betrachtet: zwischen sozialen Gruppen einer Gesellschaft, zwischen Staaten, und zwischen Generationen. Auf allen Ebenen müsse geklärt werden, wer welche Verantwortung und Last zu tragen habe. Besonders die Generationengerechtigkeit müsse stärker berücksichtigt werden, da die Stimmen der zukünftigen Generationen in derzeitigen demokratischen Verfahren keinen eigenen Platz haben.

Neben dem Individuum werden auch Staat, Wirtschaft und Medien herangezogen. Besonders an die Politik wird appelliert, sich verantwortlich zu zeigen. Dem Staat komme die besondere Aufgabe zu, klimafreundliches Verhalten von Individuen und Unternehmen zu strukturell zu ermöglichen und zu fördern.
Ein gutes Leben soll für alle möglich sein

Als Grundlage setzt der Ethikrat bei Suffizienz an: Ein Mindestmaß für ein gutes Leben stehe allen zu. Schlechter Gestellte müssten entlastet werden, zum einen, da finanzielle Mehrbelastungen sie stärker träfen, zum anderen, weil Besserverdienende mehr Emissionen verursachten. Davon ausgehend wird auch vorgeschlagen, den hohen CO2-Ausstoß der Reichen höher zu besteuern oder zu verbieten.

Die Stellungnahme geht nicht konkreter darauf ein, was als eine minimale Lebensgrundlage anzusehen ist. Ivo Wallimann-Helmer, Professor für Umweltgeisteswissenschaften an der Universität Freiburg in der Schweiz sieht das allerdings positiv: „Die Bedingungen für ein gutes Leben gehen über die bloße Subsistenzsicherung hinaus. In freiheitlichen Demokratien sollten die Bürger*innen bestimmen können, worin die absoluten Minimalbedingungen für das Führen eines guten Lebens bestehen“, erklärt Wallimann-Helmer.

Lebensstil des Einzelnen vs. Bevölkerungsgröße

Mehrere Experten kritisieren, dass das Thema der Bevölkerungsgröße nicht berücksichtigt wurde. „Die globale Emissionsmenge hängt davon ab, wie viele Menschen wie viel emittieren. Daher bietet es sich an, auch über das erste ‚wie viele‘ zu sprechen, nicht nur über den Lebensstil“, gibt Bernward Gesang, Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim zu bedenken.

Allerdings ergebe sich ein moralischer Zwist, da die Entscheidung darüber, Kinder zu bekommen, ein auch von der UN verbrieftes Grundrecht darstelle. Die Möglichkeiten von politischen Anreizen in diesem Bereich zu ignorieren, hält Gesang aber für fatal. „Wir vernachlässigen leichtfertig die Stellschrauben der Bevölkerungspolitik.“

Kritik am Konzept

Die Empfehlungen des Ethikrats trafen insgesamt auf gemischte Reaktionen aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Auch drei der 24 Mitglieder des Rats stimmten der Stellungnahme explizit nicht zu. Einige Stimmen sehen den Ansatz des Gremiums zu wenig erklärt und gerechtfertigt, anderen fehlen klarere Vorgaben für die Umsetzung. Größtenteils ist man sich jedoch einig, dass die Stellungnahme eine Grundlage für die sich entwickelnde Klimaethik ist.

„Mit Blick auf die bestehenden internationalen Debatten in der Klimaethik nimmt der Ethikrat alle wesentlichen Aspekte auf und kombiniert diese zu einem umfassenden Ansatz der Klimagerechtigkeit“, ordnet Wallimann-Helmer ein. In diesem Sinne liefere die Stellungnahme, was zu erwarten sei: einen Überblick über die Debatten der Klimagerechtigkeit und einen Vorschlag für deren Interpretation. jb


Frankfurter Rundschau  hier  14.03.2024, Von: Sonja Ruf
Ethikrat zum Klima: Staatliche Verantwortung, aber auch „moralische Mitwirkungspflicht des Einzelnen“

Der Deutsche Ethikrat hat seine Stellungnahme zum Thema „Klimagerechtigkeit“ vorgestellt – ein Appell an den Staat, seiner Verantwortung gerecht zu werden.

Der Deutsche Ethikrat hat am Mittwoch eine wegweisende Stellungnahme „Klimagerechtigkeit“ vorgestellt. Er appelliert an den Staat und in diesem Fall spezifisch an die deutsche Regierung, dass er letztlich dafür zuständig sei, gerechte Maßnahmen gegen den dramatisch schnell fortschreitenden Klimakrise einzuleiten. Der Rat besteht aus 26 Mitgliedern, aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen kommend. Alena Buyx, Medizinethikerin und Hochschullehrerin, sitzt ihm seit dem Jahr 2020 vor.

Maßnahmen, die der Ethikrat der deutschen Politik spezifisch empfiehlt, zielen auf einen hohen CO₂-Preis ab. Der Rat könnte sich laut Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine pauschale „Pro-Kopf-Rückvergütung aus der CO₂-Bepreisung“ für jeden Einzelnen vorstellen. Dieser Mechanismus, umgangssprachlich auch als Klimageld bekannt, könnte einen wohlmeinenden Ausgleich und damit einen Beitrag zur innergesellschaftlichen Klimagerechtigkeit leisten.

Politische Werkzeuge: Ein hoher CO₂-Preis, das Klimageld und internationale Partnerschaften

Deutschland könnte international seine Rolle als führende Nation in Klimaschutzbelangen verstärkt wahrnehmen und durch Vereinbarungen möglichst viele staatliche Partner und Partnerinnen in eine allumfassende internationale Klimapolitik miteinbeziehen. Drei von 26 Mitglieder des Ethikrates merkten allerdings in einem Sondervotum auch Zweifel daran an, ob Deutschland gerade auf der internationalen Bühne so viel bewegen könne.

Eine häufig diskutierte Frage in vielen gesellschaftlichen Kreisen, wenn über effektive klimapolitische Maßnahmen diskutiert wird, ist jene nach der Rolle der kollektiven und der individuellen Verantwortung und welcher im Kampf gegen die Klimakrise ein höheres Gewicht zuzuschreiben sei. Von staatlicher Seite dürfe „kein emissionsärmerer Lebensstil und Konsum verlangt werden“, solange die gegebene Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung noch nicht die Voraussetzungen dafür erfülle, befindet der Ethikrat in seiner Stellungnahme.
Im Bereich der Klimapolitik habe der Einzelne eine moralische Pflicht sein Verhalten zu reflektieren

Allerdings sei das Verhalten des Einzelnen in diesem Bereich dennoch enorm wichtig. Der Rat nennt das laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine „individuellen moralischen Mitwirkungspflicht“ in seinem Bericht. Dazu gehöre sein eigenes Verhalten, seinen Konsum und dessen Auswirkungen vor dem Hintergrund der naturwissenschaftlichen Entwicklung um sich herum und deren fortschreitende Geschwindigkeit bewusst zu bedenken und dahingehend zu reflektieren.

Zudem unterstreicht der Rat die Wichtigkeit der sogenannten intergenerationellen Gerechtigkeit: „Wenn die eigene Freiheitsausübung in ungerechter Weise in die Freiheit und das Wohlergehen anderer, auch zukünftiger Generationen eingreift, beispielsweise durch klimaschädlichen Konsum, kann staatlich mit Freiheitseinschränkungen interveniert werden“, schreiben die Mitglieder des Rats. Hierbei könnten Konflikte zwangsläufig entstehen, denn man müsse für effektive Klimapolitik alle Bereiche in den Blick nehmen.
Intergesellschaftliche Gerechtigkeit sei wichtig, vor allem für von der Klimakrise besonders Betroffene

Abschließend unterstreicht der Rat in seinem Bericht das staatliche Schutzbedürfnis von denjenigen, die am stärksten von den Folgen der Klimakrise belastete seien. Stark Betroffene der Klimakrise dürfen sowohl individuell als auch von staatlicher Seite nicht gegen weniger Betroffene ausgespielt werden.


FAZ  hier  Von Lukas Fuhr  13.03.2024
 
Ethikrat zu Klimagerechtigkeit : Moralisches Heldentum ist nicht die Lösung

Jeder hat eine Verantwortung dafür, was angesichts des Klimawandels zu tun ist. Der Deutsche Ethikrat betont nun: Vor allem Staaten müssen ein klimafreundlicheres Leben ermöglichen.

Wenn es um Verantwortung für den Klimawandel geht, schauen viele auf den einzelnen Menschen. Im Internet gibt es Rechner, mit denen man ermitteln kann, wie groß der eigene CO₂-Fußabdruck ist. Je größer der ausfällt, desto mehr ist man für die Erderhitzung verantwortlich. „Menschen tragen sehr unterschiedlich zum Klimawandel bei – schon allein das wirft große Gerechtigkeitsfragen auf“, sagt die Theologin Kerstin Schlögl-Flierl, die sich im Deutschen Ethikrat mit der Frage nach „Klimagerechtigkeit“ beschäftigt hat. „Das fängt schon innerhalb unserer Gesellschaft an. Wohlhabende Menschen fliegen öfter, während Menschen mit weniger Geld durch viele Klimaschutzmaßnahmen besonders belastet werden.“

Schlögl-Flierl und ihre Kollegen im Rat warnen in einer Stellungnahme, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, aber davor, in individuellen Treibhausgasbilanzen schon die eigentliche Frage nach „Klimagerechtigkeit“ zu erkennen. Dafür, argumentieren die meisten Mitglieder des Sachverständigenrates, sei ein umfassenderes Konzept notwendig, das überhaupt erst bestimmt, was „Klimagerechtigkeit“ sein soll.

Zu fragen sei dabei, ob „Belastungen und Verantwortlichkeiten“ innerhalb einer Gesellschaft, international, aber auch intergenerationell gerecht verteilt werden. In Hitzewellen zum Beispiel sterben vor allem ältere und sehr junge Menschen. Solche Heißzeiten nehmen in verschiedenen Ländern unterschiedlich stark zu durch den Klimawandel. Schreitet dieser ungebremst voran, ist zu erwarten, dass junge Menschen im Lauf ihres Lebens und Nachgeborene häufiger unter extremer Hitze leiden werden.

Der Ethikrat schlägt vor, dass Klimaschutzmaßnahmen so ausgerichtet werden sollen, dass sie innergesellschaftlich, international und intergenerationell vorrangig diejenigen berücksichtigen, die am stärksten vom Klimawandel belastet sind und deren elementare Bedürfnisse etwa nach „Gesundheit, Ernährung, Wasser, Sicherheit oder Mobilität“ bisher am wenigsten befriedigt sind.
Der Rat empfiehlt eine Art Klimageld

Aus diesem Grundsatz leitet der Ethikrat Empfehlungen an die deutsche Politik ab. „Aus Gründen der intergenerationellen Gerechtigkeit“ müssten die notwendigen Schritte zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an seine Folgen so schnell wie möglich ergriffen werden. Besonders die Bepreisung von CO₂ wird als Mittel genannt, um dabei innergesellschaftliche Gerechtigkeit zu sichern. So könnte es der Stellungnahme zufolge etwa eine pauschale „Pro-Kopf-Rückvergütung aus der CO₂-Bepreisung an alle Einwohnerinnen und Einwohner“ geben. „Zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass attraktive klimafreundliche Alternativen zur Verfügung stehen. Zusätzlich sollten ordnungspolitische Instrumente wie eine überproportionale Bepreisung besonders klimaschädlicher Produkte oder Dienstleistungen in Betracht gezogen werden, um sie auch für finanzstarke Personen unattraktiver zu machen.“ International müsse Deutschland über supranationale Vereinbarungen möglichst viele Staaten in die Bemühungen um den Klimaschutz einbinden und sich auch selbst einbinden lassen.

Der Ethikrat präsentiert ein Konzept, in dem vor allem der Staat für Klimagerechtigkeit verantwortlich ist. „Der bislang weit verbreitete Fokus auf die individuelle Verantwortung von Einzelpersonen wird der Problemlage nicht gerecht“, heißt es in der Stellungnahme. „Moralisches Heldentum“ Einzelner könne nicht gefordert werden – „emissionsreduzierendes individuelles Verhalten allein“ sei ohnehin nicht in der Lage, die „klimaschädlichen Folgen heutiger Lebensstile“ zu überwinden. „Soweit die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung keine geeigneten Voraussetzungen dafür bietet, darf von staatlicher Seite kein emissionsärmerer Lebensstil und Konsum verlangt werden.“

Komplett frei von Verantwortung sieht die Stellungnahme aber auch den Einzelnen nicht. Die Rede ist von einer „individuellen moralischen Mitwirkungspflicht“, zu der auch gezählt wird, das eigene Verhalten „mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels und seiner Bewältigung zu reflektieren“. Andernfalls drohe staatlicher Zwang: „Wenn die eigene Freiheitsausübung in ungerechter Weise in die Freiheit und das Wohlergehen anderer, auch zukünftiger Generationen eingreift, beispielsweise durch klimaschädlichen Konsum, kann staatlich mit Freiheitseinschränkungen interveniert werden.“

Dass solche Interventionen zu Konflikten führen werden, ist den Mitgliedern des Ethikrates klar. Sie betonen, „dass aus Gründen der Klimagerechtigkeit auch Bereiche politisch reguliert werden, die bislang ganz oder weitgehend dem privaten Handeln überlassen waren (z. B. Mobilität, Ernährung oder Raumwärme)“. Ihre erste Empfehlung ist daher, Fragen der Klimagerechtigkeit künftig deutlicher öffentlich zu diskutieren, um eine demokratische Legitimation sicherzustellen.

Ein Beispiel für die Schwierigkeiten solcher Debatten belegt das Sondervotum, mit dem drei Mitglieder des Ethikrates sich von der Stellungnahme distanzieren. Sie kritisieren unter anderem, das Konzept der Klimagerechtigkeit bleibe konturarm und der Ton schlage teilweise in einen „tendenziell illiberalen Moralismus um“.

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