hier Spektrum der Wissenschaft von Thomas Krumenacker
Einen Tag nachdem die EU ihr wegweisendes Naturschutzgesetz beerdigt, belohnt Brüssel die randalierenden Bauern mit noch laxeren Standards. Gegen die Angst vorm »Greenlash« helfen den Regierungen aber keine Zugeständnisse, sondern nur Mut zu den eigenen Werten, kommentiert Thomas Krumenacker.
Es wirkte wie das Pfeifen im Walde. »Ich kann bestätigen, dass das Renaturierungsgesetz noch lebt«, sagte Belgiens grüner Umweltminister Alain Maron am Montagabend in Brüssel. Das sollte Hoffnung machen, legt in Wahrheit aber offen, wie deprimierend weit die EU von einer wegweisenden Kurskorrektur in Sachen Naturschutz entfernt ist. Denn eigentlich hätten an diesem Tag die Bio-Sektkorken knallen sollen. Geplant war, dass die Umweltministerinnen und -minister der Mitgliedsländer nach mehr als zwei Jahren des intensiven Verhandelns endgültig grünes Licht für das Inkrafttreten des Renaturierungsgesetzes geben.
Es hätte dafür gesorgt, dass Flüsse sauberer, Moore nasser und Wälder älter werden dürfen. Dass Böden für die Landwirtschaft wieder fruchtbarer werden und Insekten und Vögel auf Wiesen, Weiden und Felder zurückkehren (mehr zu den Inhalten des Gesetzes lesen Sie hier). Es wäre das weltweit erste Gesetz gewesen, mit dem ein ganzer Staatenblock anerkennt, dass es eben nicht genügt, die kläglichen Überreste der Natur zu bewahren. Sondern dass es aktiver »Wiederherstellung« bedarf, um all die Früchte ernten zu könnten, die eine intakte Natur bietet: Hochwasserschutz, Klimaschutz, Bestäubung für Obst und Gemüse, Vorbeugung gegen Pandemien. Und nicht zuletzt: Lebensqualität.
Seit der Sitzung am Montag bekommt das alles wieder den Klang einer Zukunftsvision.
Dabei war die Umsetzung zum Greifen nahe gewesen. Vor fast genau einem Monat stimmte das EU-Parlament mit überraschend deutlicher Mehrheit für das Gesetz. Dann aber trat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán auf den Plan und kündigte in letzter Minute seine Unterstützung auf. Seitdem steht das Gesetz – denkbar knapp – ohne eine Mehrheit da. Zwar votieren mit 19 von 27 Mitgliedstaaten mehr als genug Länder für die Annahme, sie vereinen jedoch nicht die geforderte Bevölkerungsmehrheit von 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich, sondern nur noch 64,05 Prozent. Um einer formellen Ablehnung zuvorzukommen, nahm die belgische Ratspräsidentschaft das Gesetz von der Tagesordnung.
Landwirtschaft im Wandel
Nun soll eine Lösung noch vor der Europawahl Anfang Juni gefunden werden, doch den Ratsmitgliedern dürfte klar sein: Es geht längst nicht mehr um Inhalte. So gut wie alle Forderungen von Seiten der Gegner sind erfüllt worden. Der Agrarsektor hatte Zugeständnisse gefordert – er bekam sie. Das Gesetz solle nicht auf einen Schlag umgesetzt werden – es wurde ein phasenweises Inkrafttreten vereinbart. Die Regierungen fürchteten eine Überlastung der Landwirte – es wurde eine »Notbremse« für Ertragseinbrüche ins Gesetz geschrieben. Inzwischen darf sogar kein individueller Landwirt mehr durch die Renaturierungsvorhaben zu irgendetwas verpflichtet werden.
Jetzt wäre das politische Powerplay der Unterstützerländer gefragt, einen Blockierer wie Viktor Orbán umzustimmen. Das Gesetz wurde bis an die Grenzen seiner Wirksamkeit abgeschwächt. Damit gibt es de facto inhaltlich nichts mehr zu diskutieren.
Entsprechend brachten die Blockadeländer Niederlande, Italien, Schweden und jetzt Ungarn beim Ministerrat auch gar keine neuen Argumente mehr ein oder neue Forderungen. Es geht darum, das Naturgesetz zum Symbol einer angeblichen Überlastung der EU-Bürger und ihrer Landwirte durch die EU zu erheben.
Politisches Powerplay
Dabei dürfen die Staats- und Regierungschefs der Unterstützerländer sie nicht gewähren lassen. Jetzt wäre ihr politisches Powerplay gefragt, einen Blockierer wie Viktor Orbán umzustimmen. Der Ungar lenkte auch bei der Blockade der Finanzhilfen für die Ukraine, der Obstruktion beim EU-Haushalt oder dem Hinauszögern der NATO-Mitgliedschaften Schwedens und Finnlands am Ende stets in allen Punkten ein.
Doch beim Naturschutz sind auch sie offenbar erstarrt in der Dauerfurcht vor dem »Greenlash«, dem Aufschrei, der aktuell von rechten und konservativen Kreisen zu hören ist, wann immer es um neue Umweltschutzgesetzgebung geht. Dass etwa Bundeskanzler Olaf Scholz heute oder morgen die Wiederbelebung des Renaturierungsgesetzes zur Chefsache macht, erscheint praktisch ausgeschlossen. Er widersprach ja auch nicht, als die EU zuletzt mit der Pestizidverordnung einen weiteren Eckpfeiler ihres Green Deals zum Einsturz brachte.
Schlimmer noch ist der Versuch, aus den Protesten wahltaktische Vorteile zu saugen, auch gegen die eigenen politischen Werte. Man muss dafür nicht einmal hehre Ziele wie die Bewahrung der Natur bemühen: Von der Landwirtschaft über Energie- und Industriebranche bis zum Tourismus und dem Finanzsektor der EU sind alle zentralen Wirtschaftsbereiche abhängig von natürlichen Ökosystemen und Biodiversität – und damit von diesem Gesetz. Naturschutz könnte Herzstück einer konservativen Agenda sein.
Eskalation geht immer weiter
Doch lieber arbeitet Umweltminister Marons eigener Chef, der liberale belgische Ministerpräsident Alexander De Croo, hinter den Kulissen gegen das Vorhaben und zwingt sein Land zu einer Enthaltung. Und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordert mit seiner »Protestnote«, kein Landwirt dürfe durch das Gesetz finanzielle Einbußen erleiden, in klassenkämpferischem Gestus längst Beschlossenes.
Dass dies der falsche Weg ist, kann man in der belgischen Hauptstadt erleben, wo sich die Bauern bei ihren gewalttätigen Traktorenproteste zusehends radikalisieren und dafür mit der nächsten Aushöhlung wichtiger Umweltauflagen belohnt werden. In der Hoffnung, dass danach Ruhe herrscht, treibt die Politik die Eskalationsspirale weiter an und wertet die faktenarme Öko-Feindlichkeit, die hinter vielen Bauernprotesten steckt, zu einem berechtigten Anliegen auf.
Statt für Natur, Klima und die Glaubwürdigkeit Europas einzutreten, zieht man in den Regierungsvierteln lieber die Köpfe ein. Und wenn es mal wieder nach Gülle und Diesel stinkt, dann kann man sich ja immer noch die Nase zuhalten.
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