Dienstag, 16. April 2024

Reform des Klimaschutzgesetzes: Verwässertes Klimagesetz um Solarpaket zu retten - ist es das wert?

Der Minister wird scharf kritisiert - und dann auch noch durch Zustimmung unterstützt. Wer soll denn so was verstehen? 

Zeit hier Eine Analyse von Ferdinand Otto  15. April 2024

Klimaschutzgesetz: Zum Durchbruch gedroht

Weg mit den Sektorenzielen, dafür Klimaschutzmaßnahmen bis 2040 – und doch keine Fahrverbote: Nach Monaten des Streits einigt sich die Ampel auf ein neues Klimagesetz.

Fahrverbote standen in Wirklichkeit nicht ernsthaft zur Debatte – dennoch hat sich die FDP erfolgreich ans Ziel gedroht.

Man gibt sich bei der FDP gerade Mühe, nicht in Triumphalismus zu verfallen. Dabei gibt es eine Version der Geschichte um das Klimaschutzgesetz, die das durchaus rechtfertigen würde: Gegen den Willen der beiden größeren Koalitionspartner, zahlreicher Expertinnen und Experten sowie Lobbygruppen drängen die Liberalen die Bundesregierung zu einer Reform beim Klimaschutz – mit Erfolg. Nun fallen die Sektorenziele, die konkrete CO₂-Sparziele etwa für Verkehr und Heizen vorgeben.

Im Bundestag sperrten sich die Grünen monatelang. Bis Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Ende vergangener Woche droht, dass es ohne die Reform zu Fahrverboten kommen könnte. Und voilà: Sonntag knicken die Grünen ein, die Einigung steht, und die FDP bekommt wieder einmal ihren WillenPolitik mit der Brechstange – so kann man das lesen. Und das würde zumindest erklären, warum, bei allem Erfolg, selbst die FDP nicht wollen kann, dass das Schule macht. Und lieber erst mal tiefstapelt. 

Es gibt natürlich konkurrierende Erzählungen. Der öffentliche Druck, endlich zu einer Einigung zu kommen, sei über Wochen gewachsen. Und überhaupt: Was die Regierung mehrfach beschlossen hatte, könne das Parlament nicht ewig blockieren. Vorgestellt wurde der Entwurf von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) immerhin schon im Sommer 2023. Außerdem hätten Fahrverbote in Wahrheit nie gedroht, weder heute noch in Zukunft, heißt es bei den Grünen. Folglich habe Wissing auch nicht gedroht, und die Grünen seien auch nicht eingeknickt.

Das Klimaschutzgesetz gehörig umgestellt

Welcher Erzählung man auch glaubt, Lukas Köhler, stellvertretender Fraktionschef der FDP und zuständig für Klimafragen bei den Liberalen, sagt: "Wir haben das aktuelle Klimaschutzgesetz vom Kopf auf die Füße gestellt." Wobei in seinem Wir Grüne und SPD mitgemeint sein dürften. 

Ein wenig recht hat er, denn anders als von der großen Koalition beschlossen, müssen künftig nicht mehr alle CO₂-verursachenden Bereiche verbindliche Einsparpläne vorlegen. Stattdessen geht es jetzt um die Gesamtrechnung. Konkret entlastet das etwa Wissings Ministerium. Das lag zuletzt über den vereinbarten Grenzwerten. Weil andere Sektoren, besonders der Energiesektor, aber weniger Schadstoffe emittierten als geplant, stimmt die Gesamtbilanz – und das sei unterm Strich auch das, worauf es ankomme, argumentieren die Liberalen. 

Umweltverbände wie der Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR), die Klima-Allianz, die Verbände BUND, Nabu, Greenpeace, WWF sowie der Verkehrsclub Deutschland (VCD) kritisierten dieses Vorgehen dagegen. Sie sahen im Wegfall der Sektorenziele eine "eklatante Abschwächung des zentralen und wegweisenden klimapolitischen Instrumentes in Deutschland".

Neu ist, dass die Bundesregierung künftig konkrete Klimaschutzmaßnahmen für die Jahre 2030 bis 2040 beschreiben muss. Bis 2040 müsse Deutschland seine CO₂-Emissionen um 88 Prozent reduzieren, heißt es aus den Regierungsfraktionen. Diese Marke werde der neue rechtlich bindende Standard. Sollten die Projektionen ergeben, dass Deutschland sein Ziel zu verfehlen droht, greife ein neuer, verbindlicher "Nachsteuerungsmechanismus".  

Mit Bedenken aufgebohrt

Mit entscheidend für die Einigung dürfte gewesen sein, dass man das Klimaschutzgesetz in der Beratung mit einem Solarpaket verbunden hatte. Darin beschreibt die Koalition, wie sie mehr Energie aus der Sonne erreichen will: bessere Förderbedingungen, angehobene Fördersätze, unkomplizierte Abrechnungsmöglichkeiten bei selbst genutztem Strom, mehr Solar auf Gewerbegebäuden wie Supermärkten, Fabrikhallen und Parkplätzen und mehr Solaranlagen über Ackerflächen. 

In der Ampel hat es inzwischen eine gewisse Tradition, dass Gesetze aus dem Kabinett noch eine ganze Weile im Bundestag hängen – und dort wegen Bedenken teils noch mal grundsätzlich aufgebohrt werden. Das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck war so ein Fall. Die Kindergrundsicherung von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) liegt ebenfalls noch bei den Fraktionen.  

Beim Klimaschutzgesetz soll es nun schneller gehen. Bereits in der nächsten Woche kommt der Bundestag erneut zusammen. Dann soll das Gesetz auf die Tagesordnung kommen – ganz ohne Drohungen. 


Süddeutsche Zeitung hier  12. April 2024,  Von Vivien Timmler, Berlin

Debatte über Fahrverbote: Was Wissing wirklich will

Der Bundesverkehrsminister droht mit Fahrverboten am Wochenende, obwohl er selbst der Letzte ist, der diese will. Was dahinter steckt und wie es jetzt weitergeht.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat seine Koalitionspartner mit Äußerungen zum Klimaschutz schwer irritiert und heftige Kritik hervorgerufen. Sollte das neue Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft treten, drohten "restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen", hat der Minister in einem Brief an die Spitzen der Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP geschrieben. 

Auch "flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen" seien demnach möglich. "Diese Behauptung ist schlichtweg falsch", entgegnete die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Julia Verlinden, auf den völlig überraschenden Vorstoß. Wissing müsse lediglich ein konkretes Sofortprogramm vorlegen, "in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen".

Dieser reißt seit Jahren die gesetzlich festgeschriebenen Klimaziele. Um sie 2024 einzuhalten, müsste der Verkehrssektor Berechnungen des Umweltbundesamts zufolge etwa 22 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente einsparen. Wissing muss nach aktueller Rechtslage darlegen, wie er die Emissionen im laufenden Jahr senken und die Klimaziele bis 2030 erreichen will - allerdings muss er nicht alle Maßnahmen sofort umsetzen. Die gängige Idee eines Tempolimits lehnt Wissing strikt ab. "Der Verkehrsminister versucht so schamlos wie durchschaubar, mögliche Konsequenzen des eigenen Versagens in politischen Druck umzumünzen", kommentierte Greenpeace-Mobilitätsexpertin Clara Thompson Wissings Fahrverbotsdrohung.

Die Spitzen von SPD und Grünen kritisierten den Verkehrsminister für seine Aussagen scharf. "Die Aktion von Wissing kommt zur Unzeit", sagte der SPD-Fraktionsvize Detlef Müller der Süddeutschen Zeitung. "Sie verunsichert die Bürger und ist während der parlamentarischen Verhandlungen alles andere als hilfreich." Er habe am Freitagmorgen mehrere besorgte Anrufe aus seinem Wahlkreis erhalten. "Es ist nicht verantwortungsvoll für einen Minister, unbegründete Ängste zu schüren", sagte auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge. Stattdessen solle Wissing seine Aufgabe wahrnehmen und "endlich sinnvolle Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehrssektor machen".

Die Verhandlungen stecken fest

Der Verkehrsminister wollte sich 2024 eigentlich gar nicht mehr an Sektorzielen messen lassen müssen. Denn die FDP hat eine Reform des Klimaschutzgesetzes durchgesetzt, auf die sich das Bundeskabinett bereits im Juni 2023 einigte. Während jeder Sektor - Gebäude, Landwirtschaft, Energie, Verkehr - bisher einzeln seine Klimaschutzziele erreichen muss, soll die Berechnung künftig "sektorübergreifend" erfolgen. Wichtig ist dann nur noch, dass Deutschlands CO₂-Emissionen insgesamt sinken, unabhängig davon, in welchem Bereich sie entstehen.

Die Verhandlungen über die längst vereinbarte Reform stecken jedoch seit neun Monaten fest. Mittlerweile finden diese nicht mehr zwischen den Fachpolitikern statt, sondern eine Ebene höher, zwischen den Vizechefs der Fraktionen. Das sind im Fall des Klimaschutzgesetzes Matthias Miersch für die SPD, Julia Verlinden für die Grünen und Lukas Köhler für die FDP. Knackpunkt ist dem Vernehmen nach die Frage, wie die Regierung damit umgehen soll, dass Deutschland aller Voraussicht nach seinen Beitrag zur europäischen Lastenteilung, dem sogenannten Effort Sharing, um 126 Millionen Tonnen CO₂ verfehlen wird - auch aufgrund der hohen Emissionen des Gebäude- und Verkehrssektors. Das ist insbesondere aus Sicht der Grünen ein Problem, die die Reform blockieren.

Im Gegenzug blockiert die FDP ein anderes Gesetzesvorhaben, das Solarpaket, und zwar so lange, bis die Grünen ihnen beim Klimaschutzgesetz entgegenkommen. Eine solche "Koppelung" zweier eigentlich unzusammenhängender Gesetze wird in der parlamentarischen Praxis gern als Mittel genutzt, um eigene Projekte wechselseitig gegen den Widerstand der jeweiligen Koalitionspartner durchzusetzen - quasi ein politischer Deal.

"Es ist allen bewusst, dass wir eine Frist haben."

Mit seiner drastischen Drohung will Wissing nun den Druck auf die Verhandler erhöhen. SPD-Fraktionsvize Müller hält das für unangemessen. "Es ist allen bewusst, dass wir eine Frist haben, auch den Verhandlern", sagt er. Beim Solarpaket läuft diese sogar schon in fünf Wochen ab. "Vielleicht sollte Wissing erst einmal mit seinen eigenen Leuten aus der FDP reden." Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz bezeichnet Wissings Vorgehen gar als "schäbig". "Es passt ins Bild, dass ausgerechnet der Minister, der jede noch so einfach umzusetzende Maßnahme wie ein Tempolimit auf Autobahnen blockiert, jetzt mit den Ängsten der Menschen spielt", sagt er.

Um Emissionen zu senken, schlagen Experten außerdem mehr Tempo-30-Zonen in Innenstädten, eine schnellere Elektrifizierung des Verkehrs oder der Abbau klimaschädlicher Subventionen vor. Insbesondere Letzteres entfaltet seine Wirkung jedoch erst langfristig. Ganz im Gegensatz zu flächendeckenden Fahrverboten, die tatsächlich sofort die Emissionen senken würden, die aber - das dürfte auch Wissing klar sein - weder SPD noch Grüne oder FDP wollen.

Wissing ist hilflos und selbst schuld daran

Der Minister muss sich endlich ernsthaft damit beschäftigen, wie die CO₂-Emissionen im Verkehr sinken können. Seine Flucht nach vorn zeigt vor allem eins: Seine Unfähigkeit, selbst zu handeln. 

Kommentar von Vivien Timmler  hier

Der Minister muss sich endlich ernsthaft damit beschäftigen, wie die CO₂-Emissionen im Verkehr sinken können. Seine Flucht nach vorn zeigt vor allem eins: Seine Unfähigkeit, selbst zu handeln.

Es ist eine Meldung, die niemand hat kommen sehen: Volker Wissing (FDP) bringt ein Tempolimit ins Spiel. Hatte der Verkehrsminister ein solches nicht noch vor zwei Wochen ausgeschlossen? Und jetzt gleich Tempo null!

Es ist eine unnötige, populistische und maßlose Debatte, die Wissing da vom Zaun gebrochen hat. Sollte das neue Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft treten, drohten "flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen", sagt der Minister. Das ist nicht mehr als eine leere Drohung. Niemand will Fahrverbote, nicht einmal die Grünen, egal wie oft Wissing es ihnen zuschreibt.


TAZ hier

Die Spitzen der Ampelkoalition einigen sich auf eine umstrittene Reform. Die angedrohten Fahrverbote des Verkehrsministers sind damit vom Tisch.

Weniger Verbindlichkeit beim Klimaschutz: Die Fraktionen der Ampelkoalition im Bundestag haben sich bei der Reform des Klimaschutzgesetzes und einem Solarpaket zusammengerauft. Das haben die Fraktionsspitzen am Montagnachmittag bekannt gegeben.

Bislang sieht das deutsche Klimaschutzgesetz konkrete CO₂-Grenzwerte für jedes Jahr und verschiedene Wirtschafts- und Lebensbereiche vor, etwa Energie, Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft. Werden diese verfehlt, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm vorlegen.

Künftig soll stattdessen die ganze Bundesregierung für Klimaschutz im Gesamten verantwortlich sein – und will dabei sektoren- und jahresübergreifend vorgehen. Die jährlichen Grenzwerte, die im Gesetz stehen, sind damit praktisch bedeutungslos. Zudem sind die Mi­nis­te­r*in­nen nicht mehr einzeln verantwortlich.

Darauf dringt besonders die FDP schon lange. Das Bundeskabinett hat die Reform im vergangenen Jahr beschlossen. Auch der Bundestag hat sich im September damit befasst, beschloss es aber nicht. Währenddessen wuchs die Kritik von Klimaschützer*innen, die in der Reform eine Verwässerung sehen.

„Keine Fahrverbote“

„Durch die Abschaffung der jährlichen Sektorziele im Klimaschutzgesetz ist sichergestellt, dass es keine Fahrverbote geben wird“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte in der vergangenen Woche damit gedroht, dass das Autofahren an Wochenenden verboten werden müsse, wenn er ein Sofortprogramm vorlegen müsse.

Dabei ging er davon aus, dass ein Sofortprogramm nach aktuell geltendem Klimaschutzgesetz die Klimaschutzlücke des laufenden Jahres direkt schließen muss. Das Umweltbundesamt schätzt diese im Verkehrswesen auf 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Es gibt wenige Maßnahmen, die so kurzfristig wirken. Investitionen in Schienen oder die Förderung von E-Autos entfalten ihre Wirkung erst langfristig. Schnell helfen würde zum Beispiel ein Tempolimit.

Um die Lücke für 2024 zu schließen, würde das aber nicht reichen. Mit einem Autobahn-Tempolimit auf 100 Kilometer pro Stunde, 80 außerorts und 30 in Städten kommt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf 11 Millionen Tonnen CO₂-Einsparungen. Deshalb Wissings Schlussfolgerung: Helfen würden nur Fahrverbote. Im Klimaschutzgesetz steht allerdings etwas vage, dass Sofortprogramme eine Einhaltung der CO₂-Grenzwerte „für die folgenden Jahre“ sicherstellen sollen.

Spielräume schrumpfen und Klimaschutz wird teurer

Seit Montag ist auch klar: Nach aktuell geltendem Klimaschutzgesetz muss Wissing auf jeden Fall ein Sofortprogramm vorlegen, genau wie Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die sich die Zuständigkeit für die Klimabilanz der Gebäude teilen. Das hat die Prüfung der deutschen Emissionsdaten für das vergangene Jahr ergeben, für die laut Klimaschutzgesetz der Expertenrat für Klimafragen zuständig ist.

Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen mahnen an, dass es unabhängig von gesetzlichen Formalia mehr Klimaschutz im Verkehrssektor brauche. „Ob mit oder ohne Sofortprogramm: Minister Wissing muss die Emissionen drücken“, sagte Michael Müller-Görnert vom Verkehrsclub Deutschland. „Nichtstun lässt Spielräume schrumpfen und macht Klimaschutz immer teurer.“

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